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Zukunftsbild für die Produktionsplanung und -steuerung

Zukunftsbild_Future Image

Strategisches Fundament für die Auswahl eines APS-Systems

Es ist eine Tatsache – auch wenn sie nicht allgemein bekannt ist – dass 99 % der produzierenden Unternehmen in Europa ihre Produktion noch immer manuell planen, sei es in Excel oder sogar noch auf Papier. Dabei werden Konzepte wie Industrie 4.0, Smart Factory und Digital Factory bereits seit rund 10 Jahren propagiert. Viele Unternehmen haben jedoch kostspielige und enttäuschende Erfahrungen mit gescheiterten Implementierungen von Produktionsplanungssystemen wie einfachen Advanced Planning and Scheduling (APS)-Systemen oder APS-Modulen von MES oder ERP-Systemen gemacht. Was sind die Gründe hierfür?

  1. Sie haben kein Zukunftsbild (engl. Future Image) – also keinen Idealzustand der Produktion und der Produktionsplanung – definiert.
  2. Ohne ein klares Zukunftsbild können sie die erforderlichen Funktionen eines APS-Systems nicht definieren, die zur Verwirklichung dieses Idealzustands nötig sind.
  3. Das Projekt wird häufig von der IT-Abteilung geleitet, die in der Regel nicht über ausreichende Kenntnisse in der Produktionsplanung und -steuerung verfügt (Produkteigenschaften, Prozessregeln und -beschränkungen, Planungsrestriktionen etc.).

Ein Zukunftsbild einer high-level Lean-Produktion stellt folgende Anforderungen an ein System zur Planung und -steuerung der Produktion:

  1. 100 %ige Abbildung: Das Planungstool ist in der Lage, alle Produkteigenschaften, Prozessregeln und -restriktionen vollständig (zu 100 %) in der Software abzubilden, um für jede einzelne Abteilung/Ressource einen realistisch machbaren Plan zu erstellen.
  2. Durchgängige und realistische Planung: Die Planung ist durchgängig konsistent, optimiert und realistisch umsetzbar. Sie berücksichtigt die Verfügbarkeit und Auslastung sämtlicher Haupt- und Sub-Ressourcen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
  3. Prozesssynchronisation: Durch eine optimale Reihenfolgeplanung für jede Ressource wird eine hohe Prozesssynchronisierung bei parallellaufenden, zusammenführenden oder verzweigenden Prozessen erreicht. Dies führt, zusammen mit der Minimierung von Stagnation zwischen den Prozessen, zu den kürzestmöglichen Durchlaufzeiten.
  4. Integration der Supply-Chain: Die Planung ist mit Materialverfügbarkeit, Einkaufsaufträgen und Bestandsfluktuation sowie ggf. mit der verlängerten Werkbank verknüpft. Das System erkennt und zeigt mögliche Fehlteile oder Bestandsengpässe und Engpassprozesse Wochen und Monate im Voraus, um frühzeitig vorbeugen zu können.
  5. Optimierung: Das Planungssystem optimiert das Timing und die Reihenfolge der Produktionsaufträge, um einen hohen Liefertreuegrad zu gewährleisten sowie die Produktionsdurchlaufzeit und Bestände zu minimieren. Zudem wird die Ressourcenproduktivität durch die Verkürzung der Anlagenumrüstzeit, bedingt durch automatische Los- oder Produktzusammenlegung, sowie durch eine optimierte Reihenfolge basierend auf Produkteigenschaften wie Farbe, Temperatur oder Dimension gesteigert. Durch einen korrekten MRP-Lauf mit Finitkapazitätsfeinplanung wird der Zeitpunkt der Materialbeschaffung optimiert, um Fehlteile und hohe Bestände zu vermeiden.
  6. Simulation: In der Realität ändert sich die Situation in der Produktion häufig durch ungeplante Ereignisse, Eilaufträge oder verspätete Materiallieferung. Das Planungssystem ist in der Lage, alle Aufträge (Verkaufspläne, bestätigte Aufträge, Abrufaufträge etc.) kurz-/mittel-/langfristig zu simulieren und täglich zu aktualisieren, um einen optimalen Plan zu erstellen – auch hinsichtlich Liefertreue, Kosten, Durchlaufzeiten und Beständen.
  7. Vorhersage-KPI: Die Planung liefert umfangreiche Vorhersage-KPI für einzelne Simulationen, wie z.B. Liefertreue, Verspätungen, Verfrühungen, Ressourcenproduktivität, Herstellungskosten, Auslastung und Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen sowie einzelner Ressourcen (Mitarbeiter, Testgeräte, Vorrichtungen, etc.), Wartezeiten und Materialbestände nach Artikel, Kunde und Zeitraum.
  8. Schnelligkeit und Flexibilität: Eine Fabrik ist „lebendig“ – ständig kommen neue Aufträge oder unerwartete Ereignisse wie Maschinenausfälle oder Verspätungen von Materiallieferungen hinzu. Eine Simulation der Feinplanung darf nicht stundenlang oder gar über Nacht dauern. Sie sollte innerhalb von Sekunden oder Minuten abgeschlossen sein. Bei Prioritätsänderungen oder Eilaufträgen wird die Planung sofort angepasst, wobei die dynamischen Auswirkungen auf die gesamte Planung unmittelbar sichtbar sind.
  9. Monitoring: Der aktuelle Status laufender und zukünftiger Aufträge wird transparent visualisiert und kontinuierlich überwacht (Status vs. Planung) – nahezu in Echtzeit.
  10. Standardisierung: Das Planungssystem gewährleistet, dass Planungsprozesse und Arbeitsmethoden auf hohem Niveau standardisiert, reproduzierbar und nicht von einzelnen Mitarbeitern abhängig sind.
  11. White-Box-System: Das Planungstool ist ein regelbasiertes White-Box-System, bei dem Eingaben, Parametereinstellungen, Planungslogik und Planungsergebnisse transparent und nachvollziehbar sind. Der Planer kann sofort erkennen, welche Änderungen erforderlich sind, um bessere Geschäftsergebnisse zu erzielen.
  12. Kommunikation: Zügige und proaktive Kommunikation mit Kollegen aller betroffenen Abteilungen gewährleisten ein hohes Niveau an Synchronisation und Kooperation.
  13. Anpassungen ohne Programmierung: Produkte, Prozesse, Produktionssysteme, Kunden, Lieferanten ändern sich häufig. Das Planungstool ermöglicht es dem Planer, solche Anpassungen eigenständig vorzunehmen – ganz ohne externe Programmierer.

Nach der Lean-Manufacturing-Philosophie entstehen die teuersten Arten von Verschwendung (jap. „Muda“) durch mangelhafte Planung. Daher muss der Produktionsplan sehr präzise sein. Ein fortschrittliches Planungssystem fungiert als Rückgrat und Gehirn eines jeden Produktionsunternehmens, wobei alle anderen Unternehmensbereiche um den Produktionsplan herum organisiert sind und ihre Aufgaben just-in-time ausführen, um die Effizienz des Unternehmens zu maximieren.

Ein System für die Planung und Steuerung der Produktion soll dazu beitragen, die Produktionsdurchlaufzeit und Lagerbestände zu minimieren und gleichzeitig die Ressourcenproduktivität sowie die Gesamteffizienz zu maximieren. Der Wert des Systems übersteigt den ROI bei Weitem, wobei dieser in der Regel innerhalb des ersten Jahres nach der Einführung um ein Vielfaches höher ist.

Meine Empfehlung ist, vor der Auswahl eines APS-Systems zunächst ein Zukunftsbild der eigenen Produktion und für die eigene Produktionsplanung und -steuerung auf Basis der oben genannten Anforderungskriterien zu entwickeln. Die spezifischen Detailanforderungen an die Systemfunktionalität gilt es dann direkt aus diesem Zukunftsbild, also dem Idealzustand der Produktion, abzuleiten.